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Haftung, Rückruf, Reputationsverlust: Die unterschätzten Folgen fehlender Cybersecurity-Nachweise

Cybersecurity-Vorfälle in der Automobilindustrie sind längst keine hypothetischen Risiken mehr – sie sind reale Bedrohungen mit weitreichenden Konsequenzen. Während viele Unternehmen sich auf technische Lösungen fokussieren, wird ein entscheidender Aspekt oft unterschätzt: die rechtlichen und reputationsbezogenen Folgen fehlender Cybersecurity-Nachweise. In diesem Beitrag zeigen wir, warum die ISO/SAE 21434 zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, aber dennoch von zentraler Bedeutung ist – insbesondere im Kontext von Produkthaftung, Rückrufaktionen und dem Schutz der Markenreputation. Ob OEM oder Zulieferer: Wer Cybersecurity nicht nachweislich in den Entwicklungsprozess integriert, riskiert weit mehr als nur einen technischen Zwischenfall.

Cybersecurity im Automotive-Bereich: Mehr als nur ein IT-Thema

Wenn man von „Cybersecurity“ hört, denken viele zuerst an IT-Systeme, Firewalls oder den Schutz von Netzwerken vor Hackerangriffen. Doch im Automotive-Umfeld greift diese Sichtweise zu kurz. Hier ist Cybersecurity ein integraler Bestandteil der Produktsicherheit – also direkt mit der Funktions- und Betriebssicherheit von Fahrzeugen verbunden.

Denn moderne Fahrzeuge sind längst zu vernetzten, softwaregetriebenen Systemen geworden. Steuergeräte, Over-the-Air-Updates, Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation (V2V) und Remote-Funktionen eröffnen nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch neue Angriffsflächen. Ein erfolgreicher Cyberangriff kann nicht nur Daten kompromittieren, sondern im schlimmsten Fall zu Kontrollverlust oder Systemausfällen führen – mit unmittelbaren Auswirkungen auf die physische Sicherheit der Fahrzeuginsassen.

ISO 21434 als Stand der Technik – rechtliche Bedeutung im Haftungsfall

Die ISO/SAE 21434 ist nicht per se gesetzlich verpflichtend – doch sie hat eine entscheidende rechtliche Relevanz: Sie gilt im automobilen Cybersecurity-Engineering als anerkannter Stand der Technik. Und genau dieser Begriff ist zentral, wenn es im Haftungsfall zu einer rechtlichen Auseinandersetzung kommt.

Im Produkthaftungsrecht ist der Stand der Technik der Maßstab dafür, welche Maßnahmen zum Schutz vor vorhersehbaren Risiken angemessen und erforderlich sind. Kann ein Unternehmen im Streitfall nicht darlegen, dass es sich an diesen anerkannten Standard gehalten hat, kann das als Fahrlässigkeit gewertet werden – mit erheblichen Konsequenzen:

  • Produkthaftungsklagen
  • Rückrufaktionen
  • Bußgelder oder sogar strafrechtliche Ermittlungen

Besonders kritisch wird es, wenn sich im Nachhinein nicht nachweisen lässt, welche Prozesse, Methoden und Absicherungsmaßnahmen im Rahmen der Produktentwicklung ergriffen wurden. Hier wird deutlich: Selbst wenn die ISO 21434 nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, kann ihre Anwendung zur rechtlichen Absicherung im Streitfall maßgeblich beitragen.

Eine umfassende Einführung in die ISO 21434 findest du in unserem Beitrag:
ISO/SAE 21434: Was KMUs im Automotive-Bereich über Cybersecurity wissen müssen

Produkthaftung bei Cyberangriffen: Wer haftet wann – OEM oder Zulieferer?

In der komplexen Lieferkette der Automobilindustrie stellt sich bei Sicherheitsvorfällen schnell die Frage: Wer trägt die Verantwortung, wenn ein Cyberangriff auf ein Fahrzeug zurückzuführen ist? OEMs (Hersteller) oder Zulieferer?

Die Antwort ist juristisch wie praktisch nicht immer eindeutig – doch eine Verantwortungslücke gibt es nicht. Grundsätzlich gilt:

  • OEMs haften für das Gesamtfahrzeug und damit auch für Sicherheitsmängel, die sich aus Komponentenfehlern ergeben.
  • Zulieferer haften für die ordnungsgemäße Entwicklung und Absicherung ihrer gelieferten Systeme, Software oder Hardware – insbesondere dann, wenn sie in sicherheitsrelevanten Bereichen (z. B. Steuergeräte, Kommunikationseinheiten, OTA-Funktionalitäten) tätig sind.

Was häufig unterschätzt wird: Die ISO 21434 wird in der Praxis zunehmend als Grundlage für vertragliche Anforderungen herangezogen. OEMs fordern Nachweise nach dieser Norm, um das eigene Cyber Security Management System (CSMS) abzusichern und gegenüber Behörden (Stichwort UNECE R155) zu belegen.

Fehlen solche Nachweise, können Zulieferer im Schadensfall nicht nur haftbar gemacht werden, sondern riskieren auch den Ausschluss aus laufenden oder zukünftigen Ausschreibungen. Die technische Cybersecurity-Absicherung wird damit auch zu einem wirtschaftlichen Wettbewerbsfaktor.

Im Umkehrschluss heißt das: Nur wer systematisch dokumentiert, prüft und belegt, dass er Cybersecurity-konform nach Stand der Technik entwickelt, kann sich im Ernstfall auch wirksam gegen Haftungsansprüche verteidigen.

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Fehlende Cybersecurity-Nachweise: Ein Einfallstor für Klagen

In der Produktentwicklung gilt ein einfacher Grundsatz: Was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht. Das trifft im Kontext der Cybersecurity ganz besonders zu. Denn bei einem Vorfall – etwa einem erfolgreichen Angriff auf eine Fahrzeugkomponente – müssen Unternehmen nachweisen können, welche Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden, wie Risiken bewertet und mitigiert wurden, und ob die Entwicklung nach dem anerkannten Stand der Technik (z. B. ISO 21434) erfolgte.

Fehlen diese Nachweise, entstehen gleich mehrere Risiken:

  • Beweislastproblem: Ohne dokumentierte Prozesse und Analysen kann im Streitfall kaum glaubhaft gemacht werden, dass sorgfältig und normenkonform gearbeitet wurde.
  • Verdacht auf Fahrlässigkeit: Gerade bei fehlender Nachvollziehbarkeit entsteht der Eindruck, dass Sicherheitsrisiken bewusst oder fahrlässig ignoriert wurden.
  • Haftungsdurchgriff: OEMs könnten in solchen Fällen versuchen, die Verantwortung an den Zulieferer weiterzureichen – mit potenziell millionenschweren Folgen.

Dazu kommt: Auch Aufsichtsbehörden und Prüforganisationen verlangen zunehmend strukturierte Nachweise über das Cybersecurity Engineering – besonders im Rahmen der UNECE R155 und der CSMS-Audits.

Die ISO 21434 stellt genau diese Nachweisstruktur bereit: Mit klaren Vorgaben zur Risikoanalyse, Dokumentation, Traceability und dem Management technischer sowie organisatorischer Maßnahmen. Ihre Anwendung schützt also nicht nur vor Angriffen – sondern auch vor den rechtlichen und finanziellen Folgen mangelnder Absicherung.

Reputationsrisiken und Rückrufe: Was ein einzelner Vorfall kosten kann

Ein erfolgreicher Cyberangriff auf ein Fahrzeug – oder auch nur die mediale Berichterstattung über eine Sicherheitslücke – kann für Unternehmen enorme Reputationsschäden verursachen. Denn im Automotive-Bereich ist das Vertrauen der Kunden in Sicherheit und Zuverlässigkeit elementar. Schon ein einzelner Vorfall kann ausreichen, um dieses Vertrauen nachhaltig zu erschüttern.

Besonders gravierend: In vielen Fällen ist nicht der technische Fehler selbst das Hauptproblem, sondern die mangelnde Fähigkeit, nachvollziehbar und glaubwürdig zu zeigen, dass Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden. Wenn ein Unternehmen nicht erklären kann, wie es Cybersecurity-Risiken bewertet und adressiert hat, wird das in der öffentlichen Wahrnehmung schnell als Inkompetenz oder Nachlässigkeit gewertet.

Die Konsequenzen können weitreichend sein:

  • Rückrufaktionen, die nicht nur kostenintensiv sind, sondern auch öffentlich wahrgenommen werden
  • Verlust von Marktanteilen durch beschädigtes Markenimage
  • Misstrauen in digitale Innovationen, etwa bei Connected Services, OTA-Updates oder automatisierten Fahrfunktionen

Besonders in einem hochvernetzten Marktumfeld wie der Automobilindustrie verbreiten sich Informationen (und Gerüchte) rasend schnell – über Fachmedien, soziale Netzwerke oder durch gezielte Untersuchungen von NGOs oder Behörden. Ein einziger Cyber-Vorfall kann somit ganze Produktlinien in Misskredit bringen.

Der präventive Schutz durch strukturiertes Cybersecurity Engineering nach ISO 21434 ist deshalb nicht nur eine technische Maßnahme, sondern auch eine Form von Reputationsschutz.

Warum die ISO 21434 als Nachweisführung immer relevanter wird

Auch wenn die ISO/SAE 21434 rechtlich nicht verpflichtend ist, entwickelt sie sich in der Praxis zunehmend zum zwingenden Referenzrahmen. Warum? Weil sie eine strukturierte, nachvollziehbare und international anerkannte Grundlage bietet, um Cybersecurity im Fahrzeugentwicklungsprozess messbar und prüfbar zu machen.

Hersteller nutzen die Norm bereits heute als Benchmark, um:

  • die Einhaltung regulatorischer Anforderungen wie der UNECE R155 abzusichern,
  • Audits effizient zu bestehen,
  • und die Lieferkette auf Cybersecurity-Kompetenz zu bewerten.

Auch für Zulieferer wird die ISO 21434 damit zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Ohne den Nachweis, dass ein Produkt gemäß dieser Norm entwickelt wurde, besteht oft kein Zugang zu OEM-Projekten oder Ausschreibungen. Im Umkehrschluss gilt: Wer die Norm sauber umsetzt, schafft Vertrauen – sowohl beim Kunden als auch gegenüber Behörden und im eigenen Unternehmen.

Darüber hinaus bietet die ISO 21434 ein hohes Maß an Prozessklarheit und Wiederverwendbarkeit: Einmal etablierte Methoden, Rollen und Dokumentationen lassen sich projektübergreifend nutzen und verbessern so die Effizienz und Qualität nachhaltig.

Prävention statt Reaktion: Wie Unternehmen sich absichern können

Angesichts der potenziellen Schäden durch Cybersecurity-Vorfälle – sei es in Form von Haftungsansprüchen, Rückrufen oder Reputationsverlust – wird klar: Prävention ist die einzig sinnvolle Strategie. Der Schlüssel liegt darin, Cybersecurity von Anfang an in den Entwicklungsprozess zu integrieren, anstatt erst im Nachhinein auf Risiken zu reagieren.

Das gelingt nur mit einem strukturierten, unternehmensweiten Ansatz, der mehrere Ebenen umfasst:

  • Frühzeitige Risikobewertung in der Konzeptphase (Threat Analysis & Risk Assessment – TARA)
  • Definierte Prozesse zur Absicherung von Komponenten, Kommunikation und Software
  • Klare Verantwortlichkeiten und geschultes Personal
  • Dokumentation und Traceability aller sicherheitsrelevanten Entscheidungen
  • Enge Zusammenarbeit in der Lieferkette – inklusive vertraglicher Absicherung von Cybersecurity-Anforderungen

Genau hier bietet die ISO 21434 einen praxisnahen Leitfaden. Sie ermöglicht es Unternehmen, systematisch vorzugehen und dabei konkrete Nachweise für Audits, Kunden oder – im schlimmsten Fall – Gerichte zu erzeugen.

Besonders wichtig ist dabei die Etablierung eines Cyber Security Management Systems (CSMS), wie es z. B. im Rahmen der UNECE R155 gefordert wird. Auch wenn diese Regelung vor allem Hersteller adressiert, sind Zulieferer unmittelbar betroffen, da sie nachweisen müssen, wie ihre Komponenten die Gesamt-Compliance unterstützen.

Ein reaktives Vorgehen („Wir kümmern uns um Cybersecurity, wenn es nötig ist“) ist in einem vernetzten Fahrzeugumfeld nicht mehr tragfähig. Wer heute proaktiv investiert, spart morgen nicht nur Geld – sondern sichert auch Marktchancen, Vertrauen und die eigene rechtliche Position.

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Fazit: Ohne Cybersecurity kein Vertrauen – und keine Sicherheit vor Haftung

Cybersecurity im Automotive-Bereich ist längst kein Spezialthema mehr – sondern ein zentrales Qualitäts- und Vertrauenskriterium für Hersteller, Zulieferer und Kunden gleichermaßen. Die ISO/SAE 21434 ist dabei weit mehr als nur ein technischer Leitfaden: Sie ist der maßgebliche Standard zur Nachweisführung, dass Sicherheitsrisiken systematisch erkannt, bewertet und beherrscht wurden.

Wer Cybersecurity heute nicht strukturiert umsetzt und dokumentiert, setzt sich morgen einem erheblichen Haftungs- und Reputationsrisiko aus – und verliert womöglich den Zugang zu Märkten, Projekten oder ganzen Produktlinien.

Gleichzeitig bietet die Einhaltung der ISO 21434 handfeste Vorteile:

  • Sie stärkt die rechtliche Position im Haftungsfall,
  • unterstützt die Erfüllung regulatorischer Vorgaben wie der UNECE R155,
  • und schafft Vertrauen entlang der gesamten Lieferkette.

Cybersecurity ist kein „Add-on“ – sie ist Teil der funktionalen Sicherheit und des Produkterfolgs.
Unternehmen, die dies erkennen und entsprechende Prozesse aufbauen, sichern sich nicht nur gegen Risiken ab, sondern positionieren sich auch als zukunftsfähige, verantwortungsvolle Marktteilnehmer.

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